Mit etwa acht Jahren bekam ich meinen ersten Fotoapparat geschenkt. Es war eine einfache Kodak-Kompaktkamera mit drei Einstelloptionen für die Belichtung, die man aufgrund eindeutiger Piktogramme leicht zuordnen konnte: Sonne, bewölkt und bedeckter Himmel. Mein Vater, der in unseren Familienurlauben immer viel fotografierte, wies mich in den Gebrauch des Apparats ein und zeigte mir die wichtigsten Dinge, auf die ich beim Fotografieren achten müsse.
Auch wenn er es nie offen zeigte, so denke ich dennoch, dass es meinem Vater etwas bedeutete, mir sein Lieblingshobby näherzubringen. Jedes Mal, wenn wir aus dem Sommerurlaub zurück waren, saß er die nächsten Wochenenden im Wohnzimmer und fügte - mit Baumwollhandschuhen „bewaffnet“ - seine Unmengen an Dias hinter Glasrähmchen. Ich schaute ihm dabei ab und an zu - gleichermaßen fasziniert wie befremdet. Ich konnte die Begeisterung, die die Fotografie auf ihn ausübte, letztlich nicht wirklich begreifen bzw. mit ihm teilen. Und auch wenn dabei - zumindest phasenweise - ein gewisses Abgrenzungsbedürfnis ihm gegenüber eine Rolle gespielt haben mag, so änderte sich an meiner relativ leidenschaftslosen Einstellung zur Fotografie auch später nichts Wesentliches, als ich von ihm zum Abitur eine Spiegelreflexkamera geschenkt bekam. Dennoch fotografierte ich natürlich gelegentlich - vor allem (und so wie er) - im Urlaub.
Ohne dass ich mir dessen bewusst gewesen wäre, betrachtete ich die Fotografie damals als eine Tätigkeit, die lediglich in „Auszeiten jenseits des Alltags“ ausgeübt wird. Die Ferien, in denen man verreist, sind so eine Auszeit - wie natürlich auch Geburtstage, Hochzeiten und Beerdigungen. Es geht im Grunde immer darum, Erinnerungen an unwiederbringliche Ereignisse und ferne Orte mit dem Fotoapparat festzuhalten. Die Fotografie hierfür einzusetzen, ist natürlich sehr verständlich - fängt sie doch alles, was der Kamera vor die Linse kommt, vermeintlich „wirklichkeitsgetreu“ ein. Und diese zentrale Funktion erfüllt das Fotografieren für viele Menschen nach wie vor, selbst wenn diesbezüglich im Zeitalter von Internet und Instagram längst die Selbstdarstellung eine immer größere Rolle zu spielen begonnen hat.
Die Begeisterung für die Fotografie erwachte bei mir eigentlich erst während des politikwissenschaftlichen Studiums. Auf einmal hatte ich große Freude daran, auch im Alltag zu fotografieren und dabei meist bestimmte Themen zu bearbeiten. Mit dem Umzug nach Dresden 1994 intensivierte sich dieses themenzentrierte Arbeiten dann noch, was auch daran lag (bzw. dazu führte), dass ich seither als Mitglied der AG Stadtdokumentation sehr intensiv zu dieser Stadt fotografisch arbeite.
Lange Zeit jedoch machte ich mir keine großen Gedanken darüber, wieso die Fotografie mittlerweile so wichtig für mich geworden war, nachdem ich sie doch über viele Jahre hinweg allenfalls auf Sparflamme betrieben hatte. Doch nachdem ich mich mit Leben und Werk einiger bedeutender Fotografinnen und Fotografen des 20. Jahrhunderts intensiver auseinandergesetzt und auch theoretische Reflexionen zur Geschichte und Bedeutung der Fotografie (beispielsweise die sehr erhellende und aufschlussreiche Essaysammlung „Über Fotografie“ von Susan Sontag) zur Kenntnis genommen hatte, verstand ich meine inneren Antriebe und Motive besser. Mir wurde bewusst, was sich in meinem Verhältnis zur Fotografie und zum Fotografieren mittlerweile doch sehr grundsätzlich verändert hatte.
Das Fotografieren war mir nämlich zu einem wichtigen Ausdrucksmedium geworden für Gedanken, Gefühle und Einstellungen (zu Politik, Gesellschaft, Menschen, etc.). Mir wurde klar, dass Fotografie nur vordergründig die äußere Wirklichkeit festhält. Im Wesentlichen jedoch interpretiert und konstruiert sie (eine eigene) Wirklichkeit – und der Interpret bzw. Konstrukteur ist der Mensch hinter der Kamera. Mit der Kamera bringen wir weniger zum Ausdruck, wie die äußere Welt beschaffen ist, als vielmehr, wie wir sie betrachten und welches Verhältnis wir zu ihr haben. In diesem Sinne verstehe ich meine Fotografie als eine Form der Auseinandersetzung mit Dingen, die mir etwas bedeuten. Und da Auseinandersetzung immer auch Kommunikation – mit sich selbst und anderen - beinhaltet, lade ich gerne dazu ein, zu den hier gezeigten Fotos und ihren Inhalten mit mir in einen Dialog zu treten.